Innovation: Risiko oder Resilienzfaktor?

Shownotes

Die Welt, in der wir leben, ist aktuell von einschneidenden Ereignissen und Veränderungen geprägt. Unternehmen müssen sich fragen: Wie ist es möglich, in diesen volatilen Zeiten sinnvoll zu agieren? Welche Maßnahmen spielen auf dem Weg zu mehr Resilienz eine Rolle?

Digitalisierte Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle können Unternehmen flexibler und damit resilienter machen, meint Prof. Dr. Irene Bertschek. Die Ökonomin vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW sagt: „Der Corona-Impfstoff für die Wirtschaft heißt Digitalisierung.“ Auch Innovationsprojekte können dabei helfen, das Kerngeschäft von Unternehmen effizienter und effektiver zu bewältigen, ergänzt der Innovationsexperte Lukas Bosch. „Ich glaube, letzten Endes ist für jedes Unternehmen Transformation an sich Teil des Kerngeschäfts“, so der Experte.

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LB Ein Stück weit ist für jedes Unternehmen Transformation an sich Teil des Kerngeschäfts. Und idealerweise helfen mir eben aber tatsächlich dann Innovationsprojekte, Transformationsprojekte, mein Kerngeschäft in Zukunft effizienter zu bewältigen, effektiver zu bewältigen, als das eben im Status quo möglich ist.

IB Digitalisierung um ihrer selbst willen ist nicht das Ziel. Investitionen in Technologie allein sind nicht ausreichend. Man braucht auch Investitionen in Humankapital, also in das Wissen der Menschen, in die Fähigkeiten.

Zukunft:digital, der Podcast der KfW zu Digitalisierung und Innovation

HT Willkommen zur zweiten Staffel von „Zukunft:digital“. Die Welt, in der wir leben, ist aktuell von einschneidenden Ereignissen und Veränderungen geprägt: der Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und der Klimawandel. Welche Implikationen sich daraus mittel- und langfristig für die Wirtschaft ergeben, ist noch nicht absehbar. In dieser Staffel wollen wir uns daher mit der Frage beschäftigen: Wie können Unternehmen in diesen volatilen Zeiten agieren? Ist es jetzt sinnvoll, erst mal abzuwarten, oder umgekehrt gerade jetzt wichtig, die richtigen Impulse für die Zukunft zu setzen? Ich bin Holger Thurm, und von meinen heutigen Gästen will ich wissen: Wie können Unternehmen mit unvorhergesehenen Ereignissen und Unsicherheiten umgehen? Darüber spreche ich mit einer Wirtschaftsprofessorin und einem Innovationsexperten.

HT Ich begrüße Frau Prof. Dr. Bertschek. Sie sind Leiterin des Forschungsbereichs Digitale Ökonomie am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, kurz ZEW, und Professorin an der Universität Gießen. Schön, dass Sie dabei sind!

IB Ja, guten Morgen, ich freue mich!

HT Herzlich willkommen auch an Lukas Bosch! Sie sind Innovationsberater und begleiten Unternehmen bei der Gestaltung nachhaltiger Geschäftsmodelle. Hallo, guten Morgen!

LB Ganz genau! Guten Morgen auch von meiner Seite! Ich freue mich, hier zu sein!

HT Frau, Prof. Bertschek, Unternehmerinnen und Unternehmer sind ja von jeher mit Veränderungen äußerer Rahmenparameter und auch mit der Frage konfrontiert: Was heißt denn das jetzt für mein Unternehmen? Was heißt das für mich als Unternehmerin oder Unternehmer? Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen?

IB Ja, die größten Herausforderungen ergeben sich aus den beiden Krisen, die wir seit einigen Jahren beziehungsweise seit einigen Monaten durchleben. Das ist einmal die Corona-Pandemie und dann die Ukraine-Krise. Und da hat sich gezeigt, dass Unternehmen mit Herausforderungen konfrontiert sind, die vorher vielleicht nicht so präsent waren: Zum einen, dass Vorprodukte, Vorleistungen fehlen; das haben wir festgestellt sowohl während der Corona-Pandemie als auch jetzt in der Ukraine-Krise. Und dann noch mal verbunden wiederum mit der Ukraine-Krise, was den Unternehmen auch sehr zu schaffen macht, sind die steigenden Energiepreise. Gut, hinzu kommt noch die Klimakrise, der Klimawandel als eher langfristige Herausforderung, mit denen sich Unternehmen auch befassen müssen.

HT Wir wollen heute beleuchten, wie Unternehmen sich gegen die Vielzahl von Krisen am besten wappnen können. Die Krisen machen ja auch vor Landesgrenzen nicht Halt. Die Frage ist: Machen das Unternehmen in anderen Ländern besser? Sind sie besser als deutsche Unternehmen vorbereitet?

IB Ja, also zunächst einmal, diese Krisen sind globale Krisen. Insofern sind hier Unternehmen in allen Ländern mehr oder weniger betroffen. Aber was wir feststellen, ist, dass tatsächlich Unternehmen, die digital sind, also die hoch digitalisiert sind, dass die besser durch Krisen kommen. Also wir haben dazu eine Studie durchgeführt auch am ZEW mit Daten aus verschiedenen europäischen Ländern und bezogen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise. Und da hat sich gezeigt, dass die Unternehmen, die hoch digitalisiert waren, einen geringeren Rückgang des Produktivitätswachstums wahrgenommen haben als Unternehmen, die nur gering digitalisiert waren. Und ähnliche Ergebnisse finden wir auch jetzt, bezogen auf die Corona-Pandemie bei den Solo-Selbstständigen. Auch hier haben wir eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass die Solo-Selbstständigen, die stärker digitalisiert sind oder waren bei Beginn der Corona-Pandemie, dass die auch eher in der Lage waren, ihre Geschäftstätigkeit fortzuführen. Insofern, es gibt tatsächlich empirische Belege dafür, dass Digitalisierung krisenresilient macht. Wir stellen immer wieder fest, dass die deutsche Wirtschaft und die Unternehmen in Deutschland sich eher im mittleren Bereich bewegen, was Digitalisierung angeht. Also wenn man jetzt den internationalen Vergleich anschaut, da gibt es andere Länder, die etwas weiter vorangeschritten sind: Südkorea, Estland oder auch die skandinavischen Länder. Und in der deutschen Wirtschaft herrschen da doch noch Hemmnisse, die Digitalisierung so voranzutreiben, dass man hier mit den Führungsländern sozusagen aufschließt.

HT Sind denn Unternehmen in der Lage, Krisen in gewisser Weise vorauszusehen oder schon zu planen?

LB Man kann natürlich nicht jede Krise astrein vorweg sehen. Man spricht da ja auch gern von den „Black Swan Events“. Da wird dann darüber gestritten: Ist die Corona-Pandemie ein „schwarzer Schwan“? Also war sie gar nicht vorhersehbar? Oder hat sich das ein Stück weit auch schon abgezeichnet? Und das ist letzten Endes auch immer eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Also wenn ich jetzt im Risikomanagement darauf schaue, klar kann ich mich auf jede Krise mit jedem Risiko ein Stück weit abwägend vorbereiten. Die Frage ist natürlich auch immer: Auf wie viele Krisen kann ich mich dann parallel eigentlich vorbereiten und wie manage ich dieses Risiko am Ende? So gesehen, glaube ich, tut man da gut daran zu sagen: Ich muss mich jetzt nicht haarklein auf jede Krise vorbereiten mit noch so einer geringen Wahrscheinlichkeit. Aber es gibt natürlich Faktoren, die sich relativ stark in der Breite …, also gerade was jetzt, wenn wir über Digitalisierung sprechen, IT-Infrastruktur angeht, wo ich im Prinzip mich mit wenigen Maßnahmen verhältnismäßig auf potenziell viele verschiedene krisenhafte Situation vorbereiten kann, ohne die ganz genau vorhersehen zu können.

IB Was Herr Bosch ansprach, ist im Prinzip eine gewisse Form der Flexibilität. Also, ich kann nicht jede Krise vorhersagen. Aber ich muss mich so aufstellen, dass ich flexibel auf aufkommende Krisen reagieren kann. Und dabei hilft die Digitalisierung, da ich dann in der Lage bin, Prozesse effizienter umzugestalten oder schneller zu ändern, wenn sie digital ablaufen.

HT Das passt ganz gut zu einem Zitat, Frau Prof. Bertschek, das haben Sie letztes Jahr in einem Interview gesagt: „Der Corona-Impfstoff für die Wirtschaft heißt Digitalisierung.“ Aber braucht es aktuell eventuell mehr als nur diesen einen Impfstoff?

IB Also, es ist natürlich nach wie vor ein sehr essenzieller Impfstoff, vielleicht der wichtigste, vielleicht nicht nur. Es ist ein sehr wichtiger Impfstoff, und zwar auch vor dem Hintergrund, dass Digitalisierung viele andere Dinge ermöglicht. Also digitale Technologien werden ja auch manchmal als sogenannte Enabler-Technologien bezeichnet. Sie ermöglichen den Unternehmen, die sie anwenden, auch andere Dinge zu erneuern, Innovationen zu entwickeln, andere Arbeitsformen zu entwickeln. Innovation kann jetzt bedeuten: neue Produkte, neue Dienste, neue Prozesse, neue Geschäftsmodelle und so weiter. Und aufgrund dieser Befähigungswirkung ist die Digitalisierung so wichtig. Deswegen würde ich nach wie vor sagen:neue Produkte, neue Dienste, neue Prozesse, neue Geschäftsmodelle und so weiter. Und aufgrund dieser Befähigungswirkung ist die Digitalisierung so wichtig. Deswegen würde ich nach wie vor sagen: Ja, das ist der Corona-Impfstoff. Und es ist auch ein Krisen-Impfstoff generell. Aber es bedarf immer auch komplementärer Investitionen. Und da sind wir dann wieder bei Investitionen in Weiterbildung, in die Akquise von Fachkräften, in die Investition in Organisation und so weiter und so fort.

HT Herr Bosch, Frage an Sie als Innovationsexperte: Ist Innovation für Unternehmen immer der richtige Schritt? Oder gilt es auch manchmal, die Füße stillzuhalten?

LB Ich glaube, das ist eine Abwägung, die man so pauschal eigentlich kaum treffen kann. Letzten Endes müssen wir uns aber vergegenwärtigen, dass sich die Welt seit jeher immer verändert. Jetzt kann man natürlich darüber streiten, ob das alles dynamischer geworden ist durch Globalisierung, durch Konnektivität und so weiter. Im Grunde genommen muss ich mich fragen als Unternehmen: Wie verändert sich mein geschäftliches Umfeld, bedingt durch Veränderungen, die eben gesellschaftlich, geopolitisch und so weiter eben sich Bahn brechen? Es gibt dieses wunderbare Sprichwort: „Das einzige Konstante ist der Wandel.“ Das gilt natürlich. Gleichzeitig muss ich es immer im gesamten Portfolio abwägen und natürlich überlegen: Wo möchte ich eigentlich hin? Wo möchte ich mit meiner Positionierung hin? Letzten Endes verändert sich mein geschäftliches Umfeld. Wer quasi solche Transformationen, wer solche Veränderungen ignoriert, wer Scheuklappen aufsetzt, wer zu stark im Bewährten drin ist und damit die Realität nicht mehr zu greifen vermag, der hat natürlich einen Nachteil, weil diese Veränderungen finden statt, die brechen sich Bahn, und die betreffen Unternehmen in ihrem jeweiligen Geschäftsfeld sehr, sehr spezifisch. Und so gesehen ist Innovation immer der richtige Schritt zum gegebenen Zeitpunkt, ja, und bitte aber mit einer strategischen Abwägung dahinter, weil ich glaube, quasi blind Transformationsprozessen irgendwie nachzurennen, wird nicht zum Erfolg führen, sondern ich muss es tatsächlich eben in meinem Kontext greifen und dann auch umsetzen.

HT Es heißt ja auch immer: Krise als Chance! Frau Prof. Bertschek, kann die aktuelle Lage jetzt auch ein besonderer Innovationstreiber für Unternehmen sein?

IB Ja, absolut. Also wir haben das auch gesehen während der Corona-Pandemie. Da haben Unternehmen durchaus negative Auswirkungen auf ihre Innovationsaktivitäten erfahren. Also sie haben Innovationsprojekte abgebrochen oder verzögert und so weiter. Aber es gab eben auch positive Impulse, und es wurden neue Innovationsprojekte begonnen vor dem Hintergrund der Krise. Und Krise kann immer auch Innovation ermöglichen und katalytisch sozusagen … die sind ein Katalysator auch für Innovationen. Und das sehen wir jetzt auch während der Ukraine-Krise. Die Frage ist immer: Wie entwickelt sich das mittel- bis langfristig? Kurzfristig gibt es negative und positive Auswirkungen. Aber mittel- bis langfristig ist es natürlich wichtig, dass es keine nachhaltigen Einschränkungen auf die Innovationsaktivität gibt. Denn Innovationen sind ja auch die Voraussetzung wiederum für Produktivitätswachstum. Und deswegen ist es wichtig, dass das Innovationsgeschehen sehr hoch ist, dass sich möglichst viele Unternehmen auch an Innovation beteiligen und innovationsaktiv sind.

HT Was sind aus Ihrer beider Sicht denn konkrete Möglichkeiten, die Unternehmen haben, um sich kurz- oder langfristig auf Kurs zu halten?

IB Ja, zum einen ist das die Digitalisierung von Prozessen, Geschäftsprozessen, unternehmensintern, aber auch an der Schnittstelle zu Zulieferern, zu Kooperationspartnern, zu Kunden. Und was wir jetzt festgestellt haben in der Corona-Pandemie: Auch die Arbeitsprozesse zu digitalisieren kann von Vorteil sein. Also jetzt waren ja die Unternehmen sozusagen mehr oder weniger gezwungen, Homeoffice anzubieten oder einzurichten. Und wir werden sehen, dass das auch nach der Pandemie … gut, so ganz vorbei ist sie ja noch nicht, aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass viele Unternehmen diese Arbeitsform auch beibehalten werden. Also auch das ist eine Form der Flexibilität. Damit habe ich die Möglichkeit, Arbeitskräfte überregionaler zu rekrutieren, die Attraktivität der Arbeitsplätze zu steigern und so weiter. Die andere Geschichte, die ich noch ansprechen möchte, ist die Diversifizierung. In der Corona-Pandemie hat sich das schon abgezeichnet, aber erst recht jetzt während der Ukraine-Krise, dass es eben fatal sein kann, von einem Anbieter abhängig zu sein, sei es jetzt bei Energie, wie wir das sehen bei Gas und Öl von Russland, aber auch im Bereich digitaler Technologien, wo wir eine starke Abhängigkeit von China haben. Deshalb ist es wichtig, auch hier in die Zukunft zu denken und Zulieferketten zu diversifizieren, also nicht auf einen Anbieter zu setzen, sondern zu versuchen, Anbieter aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Regionen und so weiter zu engagieren, damit eben im Zweifelsfall diese einseitige Abhängigkeit die Geschäftstätigkeit nicht völlig unmöglich macht.

LB Ich würde gerne beide Punkte eigentlich aufgreifen, und ich glaube, die zeigen sehr, sehr schön auch, dass Digitalisierung oder generell Transformationsprozesse – aber bei Digitalisierung sieht man es eben sehr, sehr stark – nie nur technologische Prozesse und technologische Fragestellungen sind, sondern tatsächlich immer auch menschliche und gesellschaftliche Fragestellungen. Und ich glaube, letzten Endes, was neben der technologischen Infrastruktur, die ich schaffen muss, immer auch wichtig ist und häufig übersehen wird, weil man sehr, sehr schnell eben in technischen Details und der Auswahl von Softwareprodukten und so weiter versinkt, tatsächlich zu schauen: Wie passt das eigentlich zu dem, wie meine Unternehmenskultur ist, wie meine Mitarbeitenden sind, und wie passt es zu dem, wie meine Kunden eigentlich unterwegs sind? Also wie schaffe ich es, bei denen anschlussfähig zu sein? Wo habe ich eigentlich meine Kontaktpunkte, meine Touchpoints mit meinen Kunden, mit meinen Mitarbeitenden? Und wie kann ich die gestalten? Aber wahrscheinlich auch nie nur rein technologisch, sondern tatsächlich ist es ja immer was sehr Zwischenmenschliches, was wir gerade auch bei Lieferketten und so weiter sehen. Und ich glaube, da ist tatsächlich dann natürlich eine gute Digitalisierung von Prozessen wichtig, aber gleichzeitig nicht zu vergessen zu sagen, ich habe immer auch noch die Möglichkeit, anzurufen und einen persönlichen Kontakt da irgendwo aufzubauen. Und da sehen wir eben tatsächlich gerade … beim Megatrend Globalisierung sehen wir, dass es zum einen natürlich hilft, hochgradig zu technologisieren. Auf der anderen Seite sehen wir so ein Stück weit, auch gerade beim Stichpunkt Resilienz, auch wieder eigentlich einen Gegentrend zur Globalisierung, nämlich eine „Glokalisierung“, also eine punktuelle und sehr, sehr gut ausgewählte, sehr gut überlegte Rückkehr zu vielleicht auch eher wieder regionaleren Anbietern, regionaleren Kooperationen – was durchaus wichtig sein kann, um eben Diversifizierung von Anbietern beispielsweise zu haben. Je kürzer meine Lieferketten da sind, desto eher komme ich halt dann tatsächlich auch in keine schwierige Situation, weil es geopolitisch gerade angespannt ist.

IB Gleichwohl möchte ich aber auch noch einmal darauf hinweisen, Diversifizierung heißt eben nicht unbedingt nur Regionalisierung oder Abschottung oder nur noch innerhalb von Deutschland denken. Das ist glaube ich nicht der richtige Weg, weil wir da auch an Wettbewerbsvorteilen verlieren können, wenn wir jetzt versuchen, alles selbst zu machen innerhalb Deutschlands. Aber vielleicht stärker europäisch zu denken, stärker in westliche Länder wieder zu schauen. Und in Asien dann auch zu schauen … ich meine, es gibt auch asiatische Länder wie Südkorea, Japan, die sehr stark sind beim Angebot und bei der Produktion von digitalen Technologien oder digitalen Komponenten, auch da stärker zu diversifizieren.

HT An Sie beide die Frage: Worauf kommt es bei Digitalisierung und Innovation in Unternehmen an?

LB Generell, letzten Endes ist ein ganz, ganz gewaltiger Ausgangspunkt oder wichtiger Ausgangspunkt, neben den technologischen Entwicklungen tatsächlich eben den Menschen im Blick zu behalten. Und das ist tatsächlich ein wunderbarer Startpunkt, um auch in Innovation rein zu starten. Ich kann natürlich schauen: Was passiert eigentlich mit technologischen Entwicklungen, die ich auf gar keinen Fall verschlafen sollte? Gleichzeitig ist es tatsächlich so: Am Ende des Tages muss es immer irgendjemand benutzen, muss es immer irgendjemand anwenden, muss es immer irgendjemand kaufen. Da ist eben beispielsweise Design Thinking als ein Ansatz so interessant, wo ich hingehe und sage: Die ganzen technologischen Entwicklungen, die ganzen Entwicklungen am Markt, die schaue ich mir natürlich an. Daraus kann ich auch Ableitungen treffen strategischer Natur, worauf ich mich jetzt fokussiere. Nur ein ganz, ganz wertvoller Ansatzpunkt, den vergessen wir eben tatsächlich in solchen Projekten häufig. Und das ist genau der Mensch, der am Ende dann tatsächlich als Kunde, als Mitarbeiter wie auch immer damit arbeiten, damit leben muss und das wollen muss. Sonst bringt die ganze technologische Entwicklung ganz wenig. Wir hatten ja vorhin tatsächlich auch noch mal darüber gesprochen, Digitalisierung nicht nur als einen technologischen Trend zu sehen. Und da gab es in den letzten Jahren eben diese auch sehr, sehr schöne Aussage bezüglich digitaler oder digitalisierter Prozesse, dass eben tatsächlich auch ein digitalisierter „Scheißprozess“ immer noch ein „Scheißprozess“ bleibt, jetzt in großen Anführungszeichen. Das heißt, ich sollte mir, wenn ich jetzt mich dranmache, Prozesse zu digitalisieren, nie nur fragen, wie kriege ich den irgendwie digital abgebildet, sondern immer drauf schauen und sagen: Ist der eigentlich noch so zielführend? Und da kann eben Digitalisierung ein toller Anlass sein, generell über eine Prozesslandschaft nachzudenken, um dann keinen digitalen „Scheißprozess“ zu haben, sondern einen guten digitalen Prozess.

IB Also, um das vielleicht noch zu ergänzen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Es geht nicht einfach darum, zu digitalisieren, was zu digitalisieren geht, sondern immer zu überlegen: Was will ich damit? Und es geht auch nicht nur um Prozesse, sondern es geht auch um Produkte, um ganze Geschäftsmodelle. Also auch da ein bisschen größer zu denken, vom Gesamtkonzept des Unternehmens her zu denken, das verfolgt wird. Digitalisierung um ihrer selbst willen ist nicht das Ziel. Und um den Faktor Mensch vielleicht noch mal zu betonen, das ist auch etwas, was wir in unseren Studien immer wieder feststellen: Investitionen in Technologie allein sind nicht ausreichend. Man braucht auch Investitionen in – wie die Ökonomen so schön sagen – in Humankapital, also in das Wissen der Menschen, in die Fähigkeiten. Und das muss immer mit einhergehen, muss mitgedacht werden. Wie kriege ich auch meine Beschäftigten mit an Bord? Wie vermittle ich ihnen die Fähigkeiten, damit sie neue Technologien auch anwenden können, effizient anwenden können, innovativ anwenden können und so weiter. Das heißt, das muss immer mitgedacht werden, diese Investition in das Wissen, in die Fähigkeiten der Beschäftigten.

HT Stichwort Humankapital: Da brauche ich ja auch entsprechend Fachkräfte, um mir Wissen ins Unternehmen zu holen. Wie gehe ich da vor?

IB Nun ist es so, dass man diese Fachkräfte nicht unbedingt immer selbst im Unternehmen haben muss. Man kann das auch durch Outsourcing zum Teil betreiben, und man kann das aber auch durch Kooperation beispielsweise mit Start-ups gestalten. Also viele Start-ups im Digitalbereich bringen ja oft Fachkräftewissen mit sich, haben auch oft neue Lösungen parat, mit denen sie in den Markt kommen. Und es ist daher eine Überlegung wert, gerade für kleine und mittlere Unternehmen, ob es nicht sinnvoll ist, mit Start-ups zu kooperieren, um also sozusagen nicht immer nur im eigenen Saft zu kochen, sondern sich auch neue Ideen, Wissen reinzuholen und durch diese Kooperation dann auch einen Schritt voranzukommen.

HT Sowohl Digitalisierung als auch Innovationen sind Themen, die immer wieder auch kontrovers diskutiert werden. Frau Prof. Bertschek, was ist aus Ihrer Sicht denn die strittigste These im Hinblick auf die Digitalisierung?

IB Ja, da würde ich mich auf das sogenannte „Produktivitätsparadoxon“ beziehen. Das besagt im Prinzip, dass wir einerseits Investitionen in die Digitalisierung beobachten. Also es finden ja Investitionen statt. Aber gleichzeitig ist das Produktivitätswachstum in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen, also nicht die Produktivität im Niveau, sondern das Wachstum ist zurückgegangen. Und wenn man jetzt einerseits sagt: Na ja, digitale Technologien, das sind sogenannte Basistechnologien, „General Purpose Technologies“, die ermöglichen Innovationen, Produktivitätswachstum und so weiter und so fort – warum sehen wir das dann nicht in der Statistik und in den Zahlen? Und momentan befinden wir uns wieder in einer Phase, wo das weniger der Fall ist. Also deswegen spricht man auch vom neuen „Produktivitätsparadoxon“ oder vom „Productivity Puzzle“. Die Hypothese ist jetzt hier: Na ja, haben die digitalen Technologien wirklich diese Fähigkeit, zu Produktivitätswachstum zu führen, sind es wirklich diese tollen Technologien? Das ist eigentlich die Hypothese, die auch wir als Ökonomen immer wieder vermitteln. Oder es gibt eben auch Kritiker, die sagen: Nein, also digitale Technologien sind per se gar nicht vergleichbar mit der Elektrizität oder mit der Dampfmaschine, also den Basistechnologien, die wir vor Jahrzehnten eingeführt haben und die zu enormem Wirtschaftswachstum geführt haben. Es gibt auch verschiedene Begründungen für dieses Produktivitätsparadoxon, zum Beispiel, dass man die Digitalisierung nicht richtig misst, dass jetzt Investitionen eher verlagert werden zu Ausgaben, weil viele Unternehmen Dienste über die Cloud einkaufen, also nicht mehr selbst investieren. Oder dass eben diese komplementären Investitionen, die erforderlich sind, wie Investitionen in Weiterbildung und so weiter, dass die noch forciert werden müssen.

HT Und jetzt natürlich auch an Sie die Frage, Herr Bosch: Was ist aus Ihrer Perspektive die unstrittigste These in Bezug auf Innovation?

LB Wir hatten es ja vorhin schon: Die einzige Konstante ist der Wandel. Dementsprechend kann man schon sagen: Innovation ist immer irgendwie richtig und wichtig. Da geht es um eine strategische Ausrichtung. Da geht es um die richtige Dosierung. Da geht es sicherlich auch ein bisschen immer um Timing. Ich glaube, letzten Endes wirklich sehr, sehr unstrittig – und das lässt sich schön auch aus der Wissenschaft ableiten, vom sogenannten „Innovator’s Dilemma“ von Clayton M. Christensen – unstrittig ist die These, dass es natürlich ab einem gewissen Punkt gefährlich wird, sich auf dem Erreichten auszuruhen und nur noch in Effizienzsteigerung, im aktuellen Modus quasi, zu investieren. Und dann geht es aber letzten Endes auch wieder um ein ganzheitliches Portfolio-Management, wo ich sage: Irgendwann wird eben das, was ich vielleicht bisher an Infrastruktur, bisher an Produkten habe, wird vielleicht eine, in Anführungszeichen, „Cash Cow“, die tatsächlich eben auf einer hohen Effizienz gute Gewinne abwirft. Und diese Gewinne muss ich natürlich dann aber auch wieder reinvestieren, um in gewisser Weise, auch wieder in Anführungszeichen, im Bild gesprochen, eben die nächste „Cash Cow“ auch nicht zu verpassen. Wir sehen es ja gerade: Wann haben die Unternehmen angefangen, an Digitalisierung zu arbeiten? Das liegt potenziell Jahrzehnte zurück. Die Frage ist: Wird das je wieder „aufhören“, in Anführungszeichen? Ich glaube, letzten Endes, ein Stück weit ist für jedes Unternehmen Transformation an sich Teil des Kerngeschäfts. Und idealerweise helfen mir eben aber tatsächlich dann Innovationsprojekte, Transformationsprojekte, mein Kerngeschäft in Zukunft besser zu bewältigen, effizienter zu bewältigen, effektiver zu bewältigen, als das eben im Status quo möglich ist.

HT Jetzt haben wir alle die Hoffnung, dass Krisen und Kriege wie Corona-Pandemie oder Ukraine-Krieg von vorübergehender Natur sind. Der Klimaschutz ist aber sicherlich ein Thema, das unsere Gesellschaft, auch unsere Unternehmen über die kommenden Jahre oder Jahrzehnte sogar beschäftigen wird. Frau Prof. Bertschek, digitale Technologien stehen ja auch in dem Ruf, einen hohen Energie- und Ressourcenverbrauch zu verursachen. Können digitale Technologien dennoch bei der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft hilfreich sein? Worauf kommt es da an?

IB Ja, ich denke, diese beiden Themenfelder sind auf jeden Fall in Verbindung zu sehen. Wie Sie sagen, also Digitalisierung braucht viel Energie. Denken Sie an die Rechenzentren, die enorm viel Strom verbrauchen. Auf der anderen Seite kann Digitalisierung eben auch zu mehr Energieeffizienz beitragen, also beispielsweise durch geschickte Steuerung von Maschinen und Prozessen, die dann weniger Energie verbrauchen. Tatsächlich ist es so, dass wir bisher noch keine großen Beiträge der Digitalisierung zur Energieeffizienz beobachten können, also auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Dass dieses Thema bei den Unternehmen auch noch nicht so hoch auf der Agenda steht, also die Verbindung Digitalisierung und Energieeffizienz. Wir haben in einer repräsentativen Umfrage festgestellt, dass hier Digitalisierungsprojekte eher durchgeführt werden aufgrund von Innovationsdruck oder aufgrund von Kundenwünschen oder anderen Gründen, aber nicht, um die Energieeffizienz zu erhöhen. Die stand sozusagen ganz weit unten in der Prioritätenliste. Und ich glaube, hier muss die Awareness noch gesteigert werden, also diese beiden Themen gemeinsam zu betrachten.

LB Das Spannende ist ja, dass wir tatsächlich genau aus Kundensicht gerade erleben, dass dieses Thema höher auf der Prio-Liste quasi rückt. Wir sehen es sowohl im B2B-Bereich, wo jetzt eben tatsächlich alle gerade auch gesetzlich getrieben anfangen, ihre Lieferketten zu durchleuchten, Reduktionsmöglichkeiten im eigenen CO2-Fußabdruck. Aber wir sehen es auch am Endkundenmarkt. Und das ist, finde ich tatsächlich, jetzt wieder so eine spannende Dynamik, wenn man sich’s anschaut, zu sagen: Bisher war das eben aus Endkunden- oder auch aus B2B-Kundensicht nicht so sehr das Thema. Es wird jetzt stärker zum Thema. Und da ist jetzt wiederum Digitalisierung in den Lieferketten, einfach weil es um Datentransparenz, überhaupt um die Zugänglichkeit von Daten geht, glaube ich, sehen wir sehr, sehr schön, wie diese beiden Trends kulminieren und im Prinzip sich eigentlich auch fast nur miteinander lösen lassen.

HT Also ganz herzlichen Dank an Sie beide! Wir sind fast am Ende unserer Folge, aber bevor ich Sie aus dem Gespräch entlasse, möchte ich jeden von Ihnen beiden bitten, einen Halbsatz zu vervollständigen und dabei möglichst kurz, möglichst konkret zu sein. Nehmen wir mal an, Sie dürften Unternehmen genau eine Maßnahme empfehlen, welche wäre das? Unternehmen sollten jetzt …?

LB Krisen und trendhafte Entwicklungen, auch wenn sie vielleicht momentan nicht in den Kram passen, als Chance wahrnehmen und tatsächlich Lust auf Zukunft entwickeln. Denn das ist das Einzige, was tatsächlich hilft, um im Jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen.

IB Unternehmen sollten jetzt die Digitalisierung als Resilienz-Faktor betrachten und entsprechende Investitionen tätigen, um die Potenziale daraus wirklich auszuschöpfen.

HT Wie können Unternehmen in unseren unsicheren Zeiten agieren? Und welche Rolle spielen dabei Digitalisierung und Innovation? Darüber haben wir mit der Wirtschaftsprofessorin Irene Bertschek und dem Innovationsberater Lukas Bosch diskutiert. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich für unser Gespräch bedanken.

LB Das hat Spaß gemacht! Danke in die Runde!

IB Ja, vielen Dank! Und ich hoffe, dass es auch Wirkung zeigt!

HT Veränderungsprozesse aktiv gestalten, mit innovativen Ideen die Zukunft prägen, wie geht das eigentlich? Wie überzeugt man sich selbst und andere, neue Wege zu gehen? Diese Fragen kläre ich in der nächsten Folge mit der Geschäftsführerin der Marantec GmbH, Kerstin Hochmüller, und Rafael Laguna de la Vera, dem Leiter der Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND.

Das war Zukunft:digital. Wollen auch Sie Digitalisierung oder Innovation in Ihrem Unternehmen vorantreiben? Informationen zur Förderung finden Sie unter kfw.de/digitalisieren und kfw.de/innovation.

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