Corona als Beschleuniger der Digitalisierung?

Shownotes

Die Corona-Krise hat verdeutlicht, wie wichtig Digitalisierung ist. Doch bei diesem Zukunftsthema hinkt Deutschland hinterher. Viele mittelständische Unternehmen sahen sich gezwungen, Digitalisierungsprojekte kurzfristig anzugehen – doch hält der Trend auch langfristig an? Darüber diskutieren zwei Experten in der ersten Folge von Zukunft:digital. Jetzt reinhören!

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Wie gelingt die Digitalisierung? Wie werden aus Krisen Chancen? Und wie können Unternehmen in digitale Innovationen investieren? Kompetente Antworten, Inspiration und Expertenwissen gibt es bei Zukunft:digital – einem Podcast der KfW-Bankengruppe.

HT Ein Podcast zu Digitalisierung und Innovation – im Zuge der Corona-Pandemie. Kein Zufall. Krisen lassen uns immer nach neuen Wegen suchen, uns auszutauschen, zusätzliche Quellen der Information und der Inspiration zu erschließen. Der Podcast „Zukunft:digital“ hat genau das zum Ziel: ein digitales Informationsangebot zu schaffen für kleine und mittelständische Unternehmen, die hier wertvolles Expertenwissen rund um das Thema Digitalisierung finden, und Anregungen, wie sie selbst die Herausforderungen der Digitalisierung meistern können. Ich bin Holger Thurm und freue mich, dass ich in dieser Folge mit zwei Experten darüber sprechen kann, warum Digitalisierung eigentlich so wichtig ist und wie nachhaltig Corona die digitale Transformation befeuert hat. Willkommen, Prof. Dr. Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, und Dr. Volker Zimmermann, Senior Economist bei der KfW.

VZ Hallo!

DH Hallo, vielen Dank!

HT Herr Prof. Harhoff, Sie erforschen die Grundlagen für Innovationen in Wirtschaft und Unternehmen, und Sie, Herr Dr. Zimmermann, beobachten als Volkswirt bei der KfW, wie mittelständische Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung und Innovation arbeiten. Digitalisierung, Innovation, Wettbewerb hängen offenbar eng zusammen. Vielleicht klären wir erst mal zu Anfang ganz kurz, welche Rolle denn aus Ihrer Sicht Digitalisierung im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen spielt. Mögen Sie anfangen, Herr Dr. Zimmermann?

VZ Ja! Digitalisierung spielt für Unternehmen natürlich eine ganz zentrale Rolle bei der Wettbewerbsfähigkeit. Digitalisierung hilft, die Unternehmen effizienter zu machen. Es können neue Produkte, neue Services angeboten werden. Es geht so weit, dass auch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden können. Also, diese Faktoren zusammen führen zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Unternehmen und tragen damit natürlich zu einer guten Geschäftsentwicklung bei.

DH Ja, ich ergänze das sehr gerne! Also, wir betreiben Digitalisierung ja schon seit den 60er-, 70er-Jahren in großem Umfang in der Wirtschaft. Und in der Tat: Das ist eine Technologie, die Effizienzverbesserung verspricht. Denken Sie an digital gesteuerte Maschinen. Gleichzeitig erleichtert sie Kommunikationsprozesse, die natürlich extrem wichtig sind in der Steuerung von Unternehmen. Innovationsprozesse selbst sind auch von Digitalisierung betroffen. Also, nehmen Sie Computerunterstützung, CAD, CAM – damit können wir natürlich neue Produkte, qualitativ höherwertige Produkte schneller designen, schneller konstruieren. Und last but not least, das sagte Herr Zimmermann gerade schon, wir können völlig neue Geschäftsmodelle datenbasiert aufsetzen und in die Wirtschaft hineinbringen. Und das ist die zweite Digitalisierungswelle, die wir jetzt in den letzten zehn Jahren gesehen haben, die sehr stark internetbasiert war und die sehr stark auf die Nutzung großer Daten und neuer Geschäftsmodelle abzielte.

HT In der Corona-Krise haben wir ja jetzt durchaus eine enorme Beschleunigung der Digitalisierung erfahren. Also, viele Unternehmen mussten ja auch schnell reagieren. Selbst die, die Homeoffice skeptisch gegenüberstanden, haben Remote Work oder Homeoffice eingeführt. Videokonferenzen ersetzen Meetings. Viele haben auch den Vertrieb auf digitale Kanäle umgestellt. Ja, die digitale Welt hat also einen kräftigen Schub bekommen durch die Pandemie. Wenn man jetzt von den vielen negativen Folgen absieht: Was hat Corona Ihrer Meinung nach in Sachen Digitalisierung jetzt schon ausgelöst?

DH Vor Corona war Deutschland in vielen Bereichen ein digitaler Nachzügler. Definitiv gab es da keine Führungsposition, weder in der deutschen Wirtschaft noch in der öffentlichen Verwaltung, von einzelnen Unternehmen natürlich mal abgesehen, die Ausnahmen gebildet haben. Und wir sind jetzt in der Tat in die Digitalisierung hineingestupst oder -gestoßen worden, weil es plötzlich notwendig war, auf Distanz miteinander nach wie vor zu arbeiten, zu kommunizieren, kontaktfrei zu bezahlen beispielsweise. Das hat dafür gesorgt, dass wir plötzlich in Deutschland ähnlich häufig wie die Skandinavier, die schon früher viel digitalisierungfreundlicher waren, Plastikkarten und Handys als Zahlmittel verwenden. In den Unternehmen hat sich einfach viel getan, weil die Notwendigkeit da war, Produktion, Dienstleistungserstellung weiter aufrechtzuerhalten. Und das musste dann eben im Homeoffice mit Videokonferenzen geschehen. Der Vertrieb musste weiterlaufen. Und das alles hat erstaunlich gut geklappt, gegeben die Rückstände, die wir vorher hatten. Und ich denke – wir schauen ja langsam auf das Ende der Krise – ich denke, wir sollten uns wirklich vornehmen, all das, was wir jetzt gelernt haben in ganz kurzer Zeit gezwungenermaßen, irgendwie produktiv beizubehalten und in die Zukunft fortzusetzen.

VZ Ja, das sehe ich ganz genauso. Wir hatten einen wirklich großen Schub bei der Digitalisierung, was natürlich auch durch die Notwendigkeit in den Unternehmen ausgelöst wurde. Was allerdings den Krisenverlauf angeht, da bin ich ein bisschen skeptischer. Unsere Sorge ist, dass die Digitalisierungsmaßnahmen jetzt im Zuge der Krise durchaus zurückgefahren werden, und zwar aus dem einfachen Grund, dass eben die Umsatzeinbußen und eben auch die gestiegene Verschuldung die Finanzierung von solchen Zukunftsinvestitionen wie Digitalisierung zunehmend erschweren.

HT Dem wenden wir uns sicher auch noch zu. Ich würde aber zunächst einmal nochmal fragen, welche Technologien sind denn jetzt gerade vor dem Hintergrund, dass ich ein kleines oder mittleres Unternehmen bin, solche, die ich mir genauer anschauen sollte, wenn ich Innovationen anstrebe? Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es dafür?

DH Die Antwort auf die Frage fällt natürlich zunächst einmal sehr unternehmensspezifisch oder auch industriespezifisch aus. Aber wir können natürlich einige Sachen herausgreifen. Und wir haben Kommunikationstechnologien, die jetzt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt sind, mit dem sich Unternehmen beschäftigen sollten – ja, müssen fast, weil die Konkurrenz in anderen Ländern natürlich auch im Lichte von COVID-19 sagen wir digital aufrüstet und diese neuen Technologien adaptiert. Und da bieten sich viele Potenziale für Effizienzverbesserungen, aber nicht nur für Effizienzverbesserungen, sondern auch für CO2-Einsparungen, beispielsweise durch eine geringere Reisetätigkeit. Ich glaube, ein COVID-Aspekt, der noch nicht so viel Beachtung gefunden hat, ist die Auswirkung auf die Liefer-Netzwerke, auf die Zulieferer-Netzwerke. Die deutsche Industrie hat auch teilweise erfahren, dass ihre hohe Vernetzung, die in normalen Zeiten sehr effizient war, hier auch zu einer hohen Abhängigkeit geführt hat, dass also die Resilienz des ganzen Systems negativ betroffen war. Ich denke, dass auch hier digitale Hilfsmittel, die digitale Abbildung solcher Netzwerke, Modellierung, helfen können die Resilienz wieder zu erhöhen. All das sind Dinge, die mit Plattformen, manchmal mithilfe von Start-ups, jetzt gerade sehr gut in Angriff genommen werden könnten, wenn – da hat Herr Zimmermann natürlich recht – die Cash-Reserven ausreichen, um auch neu zu investieren.

HT Können Sie da ein, zwei Beispiele nennen? Sie haben Plattformen schon erwähnt.

DH Ja, also, ich nenne jetzt ein Beispiel: Ich habe heute Nachmittag mit einer jungen Unternehmerin gesprochen, die nach Studium, Karrierestart und einigen Jahren Berufserfahrung jetzt ein Start-up gegründet hat, das sich damit beschäftigt, mit Big Data und KI-Verfahren, Zulieferer-Netzwerke zu durchleuchten auf Risiken, auf Effizienzverbesserungs-Potenziale. Das sind typischerweise Dinge, die ein mittelständisches Unternehmen in Deutschland nicht alleine machen würde. Man kann sich das als Beratungsdienstleistung einkaufen. Oder man kann jetzt – das sind die Möglichkeiten, die uns offen stehen jetzt – in einem Kooperationsprojekt mit einem Start-up versuchen, das Feld mal auszuleuchten und dort gemeinsame Anwendungen zu etablieren.

HT Aber beißen sich da nicht ab und zu mal Gründergeist, Start-up- Mentalität mit den traditionelleren Arbeits- und Organisationsstrukturen von KMU?

DH Das gibt es sicherlich auch. Ich will das überhaupt nicht in Abrede stellen, denn das sind unterschiedliche Kulturen, die hier aufeinanderprallen. Aber meine Beobachtung der letzten drei Jahre ist, dass sich KMU und die Manager gerade in Familienunternehmen auch erheblich geöffnet haben und wahrgenommen haben, dass sie Start-ups als neue Quelle von Technologien, von Einsichten, von Veränderungspotenzial ernstnehmen sollten.

VZ Also, ich kann die Aussagen von Herrn Harhoff eigentlich nur unterstreichen. Startups können tatsächlich eine große Hilfe sein. Also zum einen ganz praktisch, weil sie natürlich eine gewisse Vorbildfunktion haben können. Und zum anderen ist es natürlich auch so: Start-ups schaffen oftmals neue Lösungen, die der Markt bisher noch nicht kannte. Und so können natürlich Start-ups dann auch eine Quelle sein, neue Technologien zu entwickeln und zur Marktreife zu führen und sie dann etablierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

HT Jetzt nehmen wir mal an, ich bin ein kleines oder mittleres Unternehmen und ich möchte Rahmenbedingungen schaffen, um mich zu digitalisieren, innovativer zu werden. Was kann ich da aus eigenem Antrieb schaffen?

DH Es ist natürlich gut, zunächst einmal ein Grundverständnis zu haben. Und wie kann ein kleines, mittleres Unternehmen, das das bisher noch nicht erarbeitet hat, das tun? Ich rate allen immer, sich umzuschauen und die nächste Fachhochschule ins Auge zu fassen. Fachhochschulen sind oft sehr nahe dran an den Bedürfnissen der mittelständischen Wirtschaft. Und sie können sich natürlich an Externe wenden, um Hilfestellung zu bekommen. Also, die Fachhochschule in der Region, die Förderagentur hier in Bayern, Bayern Innovativ, oder in Baden-Württemberg die Steinbeis-Einrichtung. Es gibt also eine ganze Menge Anlaufstellen, wo ich mir von außen das Know-how holen kann oder aber auch aus dem schon bestehenden Wissensbestand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schöpfen kann.

VZ Ja, diese externen Quellen sind natürlich sehr wichtig. Das sehe ich genauso. Was ich vielleicht noch ergänzen kann, ist, dass es für die Unternehmen auch wichtig ist, vielleicht schon eine Stufe tiefer anzufangen. Das heißt, um digitaler zu werden, innovativer zu werden, ist es natürlich auch zunächst mal notwendig, einfach eine gewisse Offenheit gegenüber Innovationen und Digitalisierung im Unternehmen zu entwickeln. Die häufig zitierte Risikokultur wäre hier ein Beispiel. Dazu, denke ich, ist auf Unternehmensebene auch wichtig, Schlüsselpersonal für die Durchführung solcher Aktivitäten zu identifizieren. Und wenn man die hat, dann auch tatsächlich aktiv im Unternehmen zu fördern und aufzubauen. Dass eben Mitarbeiter auch sehen, dass eine Mitarbeit oder eine innovative Mitarbeit erwünscht ist und dann letztendlich auch erfolgreich umgesetzt werden kann.

HT Also, ich verstehe Sie richtig: Eigentlich sind Treiber der Digitalisierung sowohl Management als auch Mitarbeiter?

DH Ja, das ist völlig richtig. Wir wissen das aus der Literatur, dass es viele Innovationsimpulse und somit auch Digitalisierungsimpulse bottom-up von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt, die ja auch in ihrem privaten Umfeld mit Digitalisierung in Kontakt kommen und dort vielleicht Impulse aufnehmen können, die dann ins Unternehmen kommen. Aber es bedarf natürlich auch der Unterstützung durch das Management und manchmal auch der Initiative des Topmanagements, um Wandel wirklich in das Unternehmen hineinzubringen. Wir alle mögen Wandel nicht besonders. Wandel macht Arbeit. Und dann muss man manchmal auch vielleicht Wandel von oben top-down betreiben.

HT Es klang ja bei Ihnen schon an, Herr Dr. Zimmermann: die Sorge, dass wir, insbesondere was Investitionen betrifft, nach der Corona-Krise eventuell wieder zurückfallen. Wenn man sich kleinere oder mittlere Unternehmen ansieht – also zwischen 20 und 250 Mitarbeitern, das sind ja immerhin 99 Prozent der Unternehmen hierzulande –, dann ist deren Investitionsspielraum nicht so groß wie ihre wirtschaftliche Bedeutung. Also, wenn man mal schaut, was mittelständische Unternehmen bislang im Schnitt für Digitalisierung ausgegeben haben, dann sind das, wenn ich das richtig lese, 17.000 Euro im Jahresdurchschnitt. Das klingt nicht nach sehr viel. Es gibt einen OECD-Vergleich, der ist schon ein paar Jahre älter: 2017. Da lagen die deutschen Firmen auf einem der letzten Plätze in Sachen Investitionen für die Digitalisierung. Haben wir uns da zwischenzeitlich vielleicht verbessert?

VZ Soweit wir unsere oder aktuellere Zahlen vorliegen haben, haben wir uns, was die Digitalisierungsausgaben pro Digitalisierer und pro Jahr angeht, in den letzten Jahren nicht wirklich gesteigert. Digitalisierung ist eben etwas, was Unternehmen derzeit nur in sehr kleinen Schritten angehen. Wir wissen aus unseren Befragungen auch, dass deutlich weniger Unternehmen hausweite Digitalisierungsstrategien haben im Vergleich zur Anzahl oder zum Anteil der Unternehmen, die Digitalisierungsprojekte durchführen. Und das hat natürlich auch zur Folge, dass man oftmals nur kleine Schritte gehen möchte, praktische Probleme lösen möchte, die man gerade hat, aber eben nicht diese großen Schritte grundlegend macht, grundlegende Veränderungen angeht.

HT Also fehlt sozusagen eine grundlegende Digitalisierungsstrategie, die längerfristig angelegt ist?

VZ Eine Strategie fehlt tatsächlich in vielen Unternehmen. Dazu kommt aber eben auch, dass wenn man solche Projekte umsetzen will, man auch entsprechend qualifiziertes Personal braucht. In vielen Unternehmen sind die IT-Kenntnisse nicht so sehr ausgeprägt. Externe Fachkräfte einzustellen, ist generell schwierig, wenn man ein kleines Unternehmen ist. Aber es ist zusätzlich so, dass auf dem Markt auch schon eine Knappheit an Fachkräften besteht, sodass man eben auch, wenn man gewillt ist, zusätzlich hier Mitarbeiter einzustellen, an gewisse Grenzen stößt.

HT Aber man kann sich wahrscheinlich nicht nur auf mangelnde Fachkräfte im IT-Bereich zurückziehen, wenn sowieso nur zwei Drittel aller Unternehmen planen, Digitalisierungsprojekte umzusetzen, wie eine KfW-Studie von Ihnen besagt. Also, auch hier sind es wieder die großen Unternehmen, mit 50 Millionen Euro Umsatz und mehr, die es vormachen. Da wollen 94 Prozent der Unternehmen Digitalisierungsprojekte umsetzen, das ist der Löwenanteil. Und bei den Kleinen, wie sieht es da aus?

VZ Ja, bei den Kleinen sind es deutlich weniger. Hemmnisse für die Durchführung von Innovationen sind typischerweise in kleinen Unternehmen einfach größer, weil eben – wie ich gerade schon ein bisschen angesprochen habe – die Expertise weniger da ist, sicher auch die Finanzierungskraft geringer ist, um so etwas selber stemmen zu können. Also wir sehen sehr häufig, dass neue Technologien immer von großen Unternehmen als Erstes aufgegriffen werden und sie dann sozusagen Stück für Stück zu immer kleineren Unternehmen vordringen, bevor sie dann also flächendeckend angewendet werden. Also, das ist sicher auch ein Punkt, den man hier bei der Digitalisierung berücksichtigen muss.

HT Kann es sein, dass diese Unternehmen auch nicht so sehr auf das Potenzial digitaler Technologien vertrauen, sondern eher den Ist-Zustand sehen, also laufende Geschäftsprozesse, die ja ohne Digitalisierung bislang auch laufen. Also dass da gar nicht so sehr der Druck dahinter ist, Digitalisierung voranzutreiben?

VZ Das ist sicher auch aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. Die Erkenntnis oder die Einsicht, wenn man so will, dass Digitalisierung Vorteile bringt, ist bei kleinen Unternehmen sicher auch geringer ausgeprägt. Und man muss natürlich auch sehen, wenn man ein Unternehmen hat, was, sag ich mal, vielleicht im Handwerk beschäftigt ist und viele individuelle Arbeiten für Kunden durchführt, da ist natürlich der Nutzen aus einer Automatisierung und aus einer Digitalisierung nicht so direkt ersichtlich im Vergleich zu einem Automobilhersteller, der im Prinzip eine Prozessstraße digitalisieren, automatisieren kann.

HT Wie sehen Sie das, Herr Prof. Harhoff?

DH Ich glaube, dass die Rahmenbedingungen schon eine Rolle gespielt haben. In den letzten 15 Jahren hat die deutsche Exportindustrie sehr aufnahmebereite Märkte in Asien, insbesondere natürlich in China, gefunden für die starken Produktkategorien – also den Maschinenbau für die Chemie, auch für die Automobilwirtschaft. Und der Erfolg, der dort erzielt wurde, häufig eben nicht mit der letzten Welle von Digitalisierung und digitaler Technik, hat auch dafür gesorgt, dass die Aufmerksamkeit für ganz neue Ansätze etwas zurückgegangen ist. Also Datenverarbeitung in der Cloud, Verwendung von Big Data, Verwendung von KI, überhaupt die gesamte Rolle des Internet haben wir in Deutschland – das muss man einfach hart sagen – etwas verschlafen. Und natürlich, wenn die Großen das nicht mitbekommen oder nur wenig mitbekommen, dann haben auch die Zulieferer, die Dienstleister, wenig Chancen, sich dann an diese neuen Technologien anzudocken. Also wir müssen uns schon den Vorwurf gefallen lassen, dass wir einige der Potenziale in Deutschland zu spät gesehen haben. Ich glaube, wir holen da im Moment kräftig auf – auch unter dem Druck der derzeitigen Krise. Aber der Computer auf vier Rädern, genannt Tesla, war leider eine amerikanische Erfindung.

HT Sie haben ja gesagt, dass die Nutzung neuer Technologien zunächst meistens von den Großen aufgegriffen wird und dann auf die kleineren und mittleren Unternehmen abstrahlt und jetzt durch den Druck der Corona-Krise ein kräftiger Schub reingekommen ist. Sollte das jetzt nicht Motiv sein, mehr zu investieren für die Post-Corona-Ära? Oder wie fatal wäre es, wenn Unternehmen nach der Pandemie sich da jetzt erst einmal zurückhalten, weil sie vielleicht gerade so wirtschaftlich überlebt haben und erst einmal Überbrückungskredite abzahlen wollen?

DH Diese Sichtweise ist fatal, ganz klar! Wir brauchen diese Investitionen jetzt in Zukunftstechnologien zu einem Zeitpunkt, wo sich solche Investitionen lohnen – Investitionen in Digitalisierung, in Cloud Services, in KI und dergleichen. Das wäre in der Tat fatal, wenn jetzt die finanzielle Situation der Unternehmen das nicht zulassen würde.

HT Aus KfW-Sicht, Herr Dr. Zimmermann, wie sehen Sie die Situation der Unternehmen?

VZ Wir sehen tatsächlich … oder wir haben tatsächlich die Sorge, dass, auch wenn wir jetzt einen Schub sehen und sich das Thema Digitalisierung in den Köpfen vielleicht noch einmal stärker verankert, in der Nach-Corona-Zeit tatsächlich die Investitionen nicht so steigen oder nicht so verlaufen, wie wir das hoffen würden, weil eben die Unternehmen zum einen, wie ich es schon ausgeführt hatte, eine höhere Verschuldung aufweisen und vielleicht auch erstmal ihre Umsatzeinbußen ausgleichen müssen. Aber auf der anderen Seite werden natürlich viele Unternehmen auch Sorge haben um ihre zukünftige Krisenfestigkeit und eben auch versuchen oder auch die Notwendigkeit sehen, ihre Krisenfestigkeit weiter zu verbessern, sodass ein gewisser Zielkonflikt entsteht zwischen eben dieser Investition in Zukunftstechnologien auf der einen Seite und in diese verbesserte Krisenfestigkeit auf der anderen.

HT Wie stehen wir denn da als deutsche kleine und mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Europa? Also, wird da mehr oder zielgerichtet in Digitalisierung investiert? Was können wir denn von anderen Ländern diesbezüglich lernen?

DH Ich glaube, wenn man sich die Situation in Skandinavien, im Baltikum, in den Benelux-Ländern anschaut, dann sieht man dort einfach generell eine größere Aufgeschlossenheit für Digitalisierung. Das fängt an mit dem öffentlichen Sektor, also mit eGovernment in der Verwaltung. Übrigens, das hat natürlich auch einen Nachfrageeffekt. Wenn ich eine Verwaltung mit digitalen Infrastrukturen ausstatte, ist das natürlich auch für meine kleinen und mittleren Unternehmen gut, die diese Leistung dann erbringen können. Auch da müssen wir jetzt in Deutschland den öffentlichen Sektor mit einbeziehen, damit er die Nachfrageeffekte für die KMU entfalten kann. Es ist leider generell so, dass wir bei der Digitalisierung hintendran gewesen sind und jetzt die Chance nutzen sollten, den Rückstand aufzuholen, indem wir das umsetzen, was wir gerade in der Krise gelernt haben.

HT Welche Rolle spielt denn da das Thema Finanzierung? Denn das kostet ja alles Geld. Wie kann ich diesen Investitionsstau lösen? Werden Kredite für die Digitalisierungsvorhaben genügend nachgefragt?

VZ Wir haben dazu dieses Frühjahr eine Studie durchgeführt und wir konnten feststellen, dass Finanzierung für die Durchführung von Digitalisierungsvorhaben tatsächlich eine Rolle spielt. Das gilt insbesondere für größere Vorhaben, umfangreichere, also finanziell umfangreichere Vorhaben, wo wir sehen, dass solche Projekte, wenn es um traditionelle Investitionen geht, in einem viel stärkeren Maße über Kredite finanziert werden, was eben bei größeren Finanzierungsprojekten bei der Digitalisierung eben gerade nicht passiert. Und das ist ein guter Hinweis darauf, dass die Verfügbarkeit von Krediten für solche Digitalisierungsvorhaben eben nicht so gut ist wie für traditionelle Investitionen.

DH Ich kann Herrn Zimmermann voll zustimmen. Letztlich hängt auch Digitalisierung davon ab, dass ausreichend Kapital und auch das richtige Kapital zur Verfügung steht. Das richtige Kapital in dem Sinne, dass die kleinen und mittleren Unternehmen natürlich in der Regel eine gute und vernünftige Kreditfinanzierung über ihre Hausbanken benötigen, gleichzeitig die Start-ups, die ja auch ein wichtiger Treiber der Digitalisierung geworden sind oder von vornherein gewesen sind, eher auf eine vernünftige Eigenkapitalfinanzierung, also Wagniskapital, Business Angels usw. angewiesen sind. Und auch da gibt es eigentlich gute Nachrichten, denn in dieser Krise, anders als in der großen Finanzkrise 2008 und 2009, waren unsere Hilfsmaßnahmen, die von der Bundesregierung kamen, erstmals auch auf Start-ups ausgerichtet und haben dafür gesorgt, dass zusätzliches externes Eigenkapital, also Beteiligungskapital, zur Verfügung stand. Also, auf beiden Seiten, glaube ich, wenn wir es jetzt schaffen, die Hilfsmaßnahmen passgenau für die Bedürfnisse kleinen und mittleren Unternehmen auszurichten und außerdem noch dafür sorgen, dass wir keinen Rückschlag beim Aufbau unseres Start-up-Sektors erhalten, dann sind wir da eigentlich gut unterwegs. Aber das muss natürlich sichergestellt werden.

HT Vorhin klangen schon einzelne Hemmschuhe an, die nicht finanzieller Natur waren, wie zum Beispiel IT-Fachkräftemangel. Welche Hemmschuhe gibt es denn noch? Und wie kann man diese beseitigen?

VZ Also so, wie wir das in unseren Umfragen sehen, sind das tatsächlich die fehlenden IT-Kompetenzen im Unternehmen und das in Kombination mit einer Knappheit an IT-Fachkräften. Wir haben dann gesehen, dass auch der Umgang mit den Anforderungen bei Datensicherheit und Datenschutz ein großes Problem für Unternehmen darstellt. Was wir auch sehen, ist beispielsweise, dass einfach auch die Umstellung, die Integration von neuen digitalen Hilfsmitteln in die Unternehmensorganisation, in die Arbeitsorganisation, Schwierigkeiten bereitet – etwa auch quasi in der IT selber, die häufig Strukturen aufweist, die dann nicht ganz passen. Und last but not least, es gibt auch immer noch Unternehmen, die über die schlechte Qualität ihrer Internetverbindung klagen. Da wurde in den letzten Jahren natürlich auch viel Wert daraufgelegt, das zu verbessern. Aber nach wie vor und hauptsächlich in ländlichen Räumen gibt es da schon noch Nachholbedarf.

HT Vielleicht kehren wir am Ende des Gesprächs noch einmal im Sinne eines Schlussworts zum Ausgangspunkt zurück, nämlich der Corona-Pandemie. Wir haben beleuchtet: Das Virus hat uns alle in Zugzwang gebracht und damit auch der Digitalisierung, sagen wir mal, einen Schub verpasst, den es jetzt zu halten gilt. Können Mittelständler Ihrer Meinung nach dieses Momentum der Krise nachhaltig nutzen?

VZ Ich denke, ja. Also, ich denke, die Notwendigkeit ist sicher bei vielen Unternehmen noch einmal verdeutlicht worden. Ich selbst kann sagen für mich als Mitarbeiter, aber auch als Konsument: Ich habe meine Gewohnheiten umgestellt. Das werde ich nach der Corona-Krise sicher auch nicht zu 100 Prozent zurückdrehen, sodass in dieser Hinsicht durchaus ein Schub, auch ein kontinuierlicher Schub zu erwarten ist. Gleichwohl gilt natürlich: Das muss für die Unternehmen auch finanzierbar sein, um das umzusetzen. Und da, glaube ich, muss man schon ein bisschen mit Vorsicht draufschauen.

DH Ich möchte Herrn Zimmermann völlig zustimmen. Not macht erfinderisch. Im Krisenmodus haben wir gelernt, viel agiler, viel schneller zu arbeiten. Und dieses Momentum, wie Sie es ganz richtig genannt haben, muss nach Möglichkeit erhalten bleiben. Also, wir dürfen jetzt nicht wieder zurückschnappen in unsere alte Welt, wo die Bedenkenträger in den Unternehmen dafür gesorgt haben, dass es Homeoffice nicht gab oder dass mal eine neue Vorgehensweise, gemeinsam zeitgleich an einem Dokument zu arbeiten, ebenfalls nicht möglich war, weil irgendjemand sagte, das brauchen wir nicht. Ich glaube, wir müssen das jetzt in Aufbruchstimmung umwandeln. Und dann, glaube ich, kommen daraus auch sehr viele positive Impulse, die wir auf Dauer nutzen können.

HT Vielen Dank, Prof. Dr. Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb. Und auch an Sie, Dr. Zimmermann, Senior Economist bei der KfW. Wir haben alle drei heute Digitalisierung gelebt, indem wir diesen Podcast digital aufgezeichnet haben. Ganz herzlichen Dank an Sie beide!

DH Sehr gerne!

VZ Ja gerne! Vielen Dank meinerseits auch! 

HT In dieser ersten Folge von „Zukunft:digital“ haben wir uns der Frage zugewandt, inwiefern die Corona-Pandemie die Digitalisierung beschleunigt und welche Chancen sie für die Zukunft bietet. Ich freue mich auf unsere nächste Episode zum Thema Dezentrales Arbeiten mit konkreten Tipps für die Umsetzung in Unternehmen. 

Das war Zukunft:digital – ein Podcast der KfW-Bankengruppe. Wollen auch Sie Digitalisierung und Innovation in Ihrem Unternehmen vorantreiben? Die KfW unterstützt Sie dabei – mit attraktiven Krediten und Förderzuschüssen. Erfahren Sie mehr auf kfw.de/digitalisieren.

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